Und sie kommunizieren doch:
Sprachliche Varietäten bei Gummibären
In einer viel beachteten Arbeit von O. Jusko (Jusko 1996) wurde die These aufgestellt, daß Gummibären sich vornehmlich durch ihre Körpersprache mit der Umwelt auseinandersetzen. Es wurde hier insbesondere die Färbung analysiert, und es haben sich 5 Archetypen herauskristallisiert. In erwähnter Arbeit wird jedoch der sprachlichen Kommunikation wenig Bedeutung zugemessen. Es ist da von Gummibärsignalen die Rede, die dem Ablösen von Klebeband von einer Tischplatte ähneln würden. Dies erschien uns insofern unplausibel, als derartige Geräusche, seien sie nun von Klebebändern, Tischplatten oder Gummibärchen hervorgebracht, auf äußere Einwirkung zurückzuführen sind, also nicht originär und eigentlich von den beteiligten Objekten ausgehen können. Die Frage, an wen sich denn derlei 'Ablöse'-Geräusche richten mögen, ist insofern müßig, daß ein Zeichen notwendigerweise über eine Appellfunktion an einen Empfänger gerichtet ist (vgl. Bühler 1934/1962, 28), was wir hier schwerlich dingfest machen können.
Ohne jede Frage sind Untersuchungen zum Sprachverhalten der Gummibären und -innen gerade in dieser Zeit von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung (75. Geburtstag der Gummibärchen in diesem Jahr; die Presse berichtete ausführlich), und so haben wir ein langfristiges Forschungsvorhaben begonnen, über dessen erste Ergebnisse hier berichtet werden soll. Entsprechende Förderungsanträge an die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Düsseldorfer Ministerium für Wissenschaft und Forschung wurden zunächst abschlägig beschieden; allerdings mit ermunternden Randbemerkungen, die nur als Zeichen zu verstehen sind, daß eine prinzipielle Förderungswürdigkeit durchaus erkannt worden ist. Die DFG hat unseren Antrag mehrere Monate zwischen den Schreibtischen der Referenten für Linguistik, Psychologie und Materialforschung zirkulieren lassen. Frau Brunn hat vor allem bemängelt, daß keine klare Unterscheidung zwischen 'dem Gummibären' und 'der Gummibärin' getroffen würde. Aber, wir sind zuversichtlich, daß uns dies auch noch gelingen wird. Eines Tages.
Es sei nur hier schon angemerkt, daß die kühne Hypothese von Ferley (1997), in der Werbung würden nur weibliche Gummibärinnen eingesetzt, weil es gar keine männlichen gäbe, zu oberflächlich ist. Im Zusammenhang mit der Werbung mag dies zutreffen; daraus zu schließen, es würde keine männlichen Gummibären geben, ist jedoch nicht haltbar. Hat man denn jemals menschliche männliche Wesen in Anzeigen gesehen, die für BHs, Dauerwellen oder Tampons werben?
Zurück zum eigentlichen Thema: wir haben in unserer freien Zeit etliche Experimente ersonnen, um in die zwischengummibärigen Sphären einzudringen. Beispielsweise wurden in meiner Wohnung verschiedene Gruppen von Gummibären aufgestellt, deren Stärke von 0 bis 29 variierte (Wir haben hier natürlich die bisherigen empirischen Untersuchungen berücksichtigt, beispielsweise Funke (1995), der die Gruppenkreativität beleuchtet). Es wurde ebenfalls darauf geachtet, daß die Farbzusammenstellung und die Lokalisation systematisch verändert wurden.
Beispielsweise wurden 3 gelbe und 1 grünes VG (= Versuchsgummibär; wir verzichten im folgenden auf geschlechtsdifferenzierende Unterscheidungen) im Bad postiert, während eine Gruppe von 0 VG in der Küche versammelt war und 13 orangene und rote VGs auf der Fensterbank im Wohnsimmer saßen. Man kann sich die anderen Variationen sicher leicht vorstellen. Eine ausführliche Darstellung wird demnächst erscheinen.
Erstaunlich war zunächst, daß wir als Beobachter überhaupt keine Aktivitäten der VGchen feststellen konnten. Sie schwatzten nicht, erzeugten nicht die in (Jusko 1996) beschriebenen Geräusche, nicht einmal räuspern taten sie sich, ja, sie verzogen keine einzige Miene! Insofern waren unsere ersten Ergebnisse vergleichbar mit den Experimenten von Krüger und Hofmann (1996) zum impliziten Gedächtnis. Nach langem Herumexperimentieren nährte sich bei uns die Vermutung, daß eine angeborene Schüchternheit unserer Probanden sie an der Kommunikation unter ihresgleichen hinderte, wenn andere Wesen an"wesend" waren.
Um dies zu verifizieren, wurden alle Experimente erneut ausgeführt, diesmal allerdings unter veränderten Rahmenbedingungen. Die Versuchsleiter, mich eingeschlossen, verließen zu Beginn der Experimente mit "Hallodri" oder (literarisch anspruchsvoller) mit "Tandaradei" und ähnlichen Aufbruchssignalen die Wohnung, um nach angemessener Zeit und möglichst lautlos wieder zurückzukehren. Die Bärchengruppen waren dann auch so postiert, daß sie keinerlei Einblick auf den Haustürbereich hatten. Was hier zu beobachten war - und wir sind erst am Anfang unserer Untersuchungen - ist einigermaßen erstaunlich.
Sobald die VGen sich für unbeobachtet hielten, fingen sie wie wild an zu kommunizieren. Nicht akustisch, wie vermutet wurde, sondern schriftlich. Jedes VG holte einen kleinen Zettel aus der linken Hosentasche, einen Bleistift nebst Ratzefummel aus der rechten, und schon wurden wichtige Botschaften zu Papier gebracht. Nach anfänglichem Erstaunen - wir wußten bis dato noch nichts von Hosentaschen geschweige denn von deren Inhalt - haben wir eine Technik entwickelt, um an die Botschaften auf den kleinen Zettel heranzukommen. Die VGen basteln kleine Flugkörper aus ihnen ("Schwalben" im Schülermund genannt) und werfen sie in Richtung des jeweiligen Adressaten. Wir haben nun kleine Netze an Stangen befestigt, und konnten so einiger Botschaften auf den Flugobjekten habhaft werden. Gummibärchen sind bekanntlicherweise sehr kurzsichtig, sodaß sie unsere Abfangmanöver gar nicht gemerkt haben. Weder die Absender noch die Empfänger, denn erstere haben ja zunächst gar nicht bemerkt, daß ihre Nachricht nicht den beabsichtigten Zielort erreicht hat, und letztere wußten gar nicht, daß ein Gesinnungsgenosse etwas hat mitteilen wollen. Wissenschaftlich ist dieses Phänomen als reziproke Kommunikationslücke bekannt, und taucht im menschlichen Verhalten beispielsweise bei Telephonaten auf, bei denen man sich verwählt hat.
Nun, unsere Experimentalserie ist noch lange nicht abgeschlosse. Es hat sich auch als kompliziert erwiesen, die VGen wirklich davon zu überzeugen, daß sie allein unter sich sind. Oftmals haben sie flugs ihre Schreibutensilien wieder in den Hosentaschen verschwinden lassen (dies jedoch immer auf der richtigen Seite), wenn nur der leiseste Verdacht auf die Anwesenheit anderer Wesen erkennbar war. Einer meiner Hilfskräfte hat sich nur am Kopf gekratzt, und schon war es mit dem betreffenden Experiment vorbei. Die VGen taten einfach, als sei nichts geschehen.
Eine noch sehr vorläufige Evaluation unserer Forschungsunternehmungen deutet darauf hin, daß es eine Korrelation zwischen dem Sprachverhalten und den Farben der VGen geben könnte. Hier die ersten und noch ganz vorläufigen Ergebnisse:
Der geneigte Leser, die geneigte Leserin wird unschwer erkennen, daß unsere Forschungen erst einen Anfang darstellen, daß noch zahlreiche Feldversuche ausstehen, daß eine fundierte Theoriebildung auf die Interpretation der bisherigen und zukünftigen Experimente angewiesen ist. Zwar kann heute schon gemutmaßt werden, daß die grünen Bärchen sich im wesentlichen der Produktion dichterischer Texte enthalten werden; doch, mit Ausnahmen ist immer zu rechnen.
Insbesondere interessieren uns die pragmatischen Kriterien der Textproduktion
bei dieser Spezies. Also, wo ist welches VG zur Zeit seiner kommunikativen
Aktivität, an welches oder welche Lebensgefährten oder
-gefährtinnen
wendet es sich? Wie haben Gruppenstärke und lokalisationsbedingungen
einen Einfluß auf die sprachlichen Elaborate? Schließlich: wie
kommen die VGen mit der Rechtschreibreform zurecht?
Einer unserer engagiertesten Mitarbeiter (A. Mertens, FernUni Hagen) hat
die These in den Raum gestellt, daß es sich primär um eine
Korrelation
zwischen politischer Gesinnung und VG-Farbe handeln könnte; wenn sich
dies erhärten läßt, wäre die sprachliche Disposition
nur ein sekundäres Phänomen. Dies aufzuklären wird eines
unserer Hauptinteressen in zukünftigen Forschungsarbeiten sein.
Des weiteren sind Materialbände zur Kommunikation unter den Gummibären
geplant, die es den nicht in der aktiven Feldforschung arbeitenden
Wissenschaftlern
ermöglichen sollen, ihre Untersuchungen auf einer breiten Materialbasis
durchführen zu können.
Internationale Kontakte bestehen zur Zeit zum 'Centre for the Investigation of the Mole Language(s)' (CIML(s)) an der Stanford University, wo bereits seit einigen Jahrzehnten das Sprachverhalten der Maulwürfe untersucht wird. Diese possierlichen Tiere kommunizieren zwar nicht schriftlich miteinander.Dazu fehlen ihnen einerseits die entsprechenden Hosentaschen für Papier und Bleistift, andererseits halten sie sich vorzugsweise in lichtarmen,wenn nicht gar zappendusteren Räumen auf, in denen man schlecht schreiben und noch schlechter lesen kann. Aber sie bieten eine interessante Vergleichsgröße für interkulturelle Beziehungen. Sie sind fürderhin unseren Untersuchungsobjekten ähnlicher als die Bären es sind. Denn Maulwürfe zeichnen sich durch eine relativ schlichte und spärliche Behaarung aus, was man von den Bären nicht sagen kann, von den Gummibären allerdings und durchaus.
Durch den zeitlichen Vorsprung und die dadurch bedingte Unzahl empirischer Fakten sind unsere amerikanischen Kollegen derzeit der Ansicht, daß es sich bei den Maulwurfssprachen um ganz verschiedene handelt (deshalb das "(s)" in der Institutsbezeichnung). Es herrscht allerdings noch Uneinigkeit, ob man diese als Dialektvarianten oder als verschiedene Sprachen ansehen muß, zumal die Materiallage aus früheren Jahrhunderten nur als spärlich bezeichnet werden kann. Ähnliches dürfen auch wir nicht a priori ausschließen: möglicherweise gibt es auch Gruppen weißer Gummibären, die sich nur selten über Blumenkohl und Kohlrabi unterhalten, stattdessen aber die leckeren Spargel in ihren Mitteilungen thematisieren.
Die Forscherkollegen in Palo Alto unterstützen unseren Ansatz aus vollem Herzen und erwarten sich für ihre eigenen Arbeiten wertvolle Anregungen. Es ist sogar schon die Vermutung in den Raum gestellt worden, daß es sich bei den Gummibären in Wahrheit gar nicht um solche handelt, sondern man evolutionsbiologisch eigentlich von "Gummiwürfen" sprechen müßte. Und dies entbehrt nicht einer gewissen inneren Logik, wenn man bedenkt, daß unsere VGen sich durch das Werfen von Botschaftszetteln auszeichneten. Wir werden dem nachgehen, möchten aber schließlich noch darauf hinweisen, daß seit der offiziellen Ratifizierung der gemeinsamen Forschungsprogramme zwischen der Stanford University und der GMU Duisburg die Bonner Firma ,Haribo' einen Zuwachs ihres Exportvolumens in die USA verzeichnen kann.
Abschließend möchten wir auf die Bereiche hinweisen, auf die sich unsere Forschungsarbeiten zur Kommunikation der Gummibären in der nächsten Zeit richten werden:
Für Anregungen, empirische Funde aus dem Kollegenkreis sind wir jederzeit aufgeschlossen und dankbar.
Mai 1997
Literatur
Bröder, A. (1997). Meilensteine der Gummidichtung. Abri
Bärchenliteraturgeschichte. Der
Deutschunterricht, 57, 201-209
Bühler, K. (1934/1982). Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Ungekürzte Ausgabe der ersten bei G. Fischer 1934 erschienenen Ausgabe. Stuttgart: Fischer 1982
Ferley, L. (1997). Warum in der Werbung nur weibliche Gummib eingesetzt werden. Weibliche Welt, 89, 174-182
Funke, J. (1995). Komplexes Problemlösen bei Gummibäre!
Jusko, O. (1996). Kommunikation und Ausdrucksverhalten bei Gumm! Pantomime & Gestik, 14, 23-56
Krüger, Th., Hofmann, B. (1996). Implizites Gedächtnis! Gummibärchen. Zeitschrift für experimentelle Psychologie, 24, 34-56