Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 23/2 des Informatik Spektrum des Springer Verlages.
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Es gibt Vorurteile, die sich auch dann noch halten, wenn schon die Mehrheit das Gegenteil erlebt. Jeder scheint zu glauben, es sei das eigene Problem, allen anderen ginge es gewiss so, wie es der angeblichen Normalität entspricht. Eines dieser Vorurteile ist die wöchentliche Arbeitszeit unter 39 Stunden wenigstens im Erwerbsleben -- für den Haushalt wie für das Studium wird dieses Zeitbudget immerhin nicht behauptet. Wohin ich sehe, arbeiten die Vollzeitbeschäftigten weit mehr und nur wenige können die Mehrarbeit abbummeln oder als Überstunden entlohnt bekommen. Ich sehe abgehetzte Techniker und Sachbearbeiterinnen im öffentlichen Dienst, wo doch gemäß Vorurteil gefaulenzt wird. Ich sehe einen Haustechniker für eine große Baugesellschaft und einen Pharmavertreter nur sehr selten und kurz zu Hause vorbeischauen. Ich sehe Selbstständige 14-Stunden-Schichten absolvieren (auch am Wochenende). Ein Koch, eine Grafikerin, BeraterInnen (consultants), ein Informatiker, der das Netzwerk einer Baufirma in Gang hält, eine Betriebswirtin in der Chemiebranche -- alle erwerbstätig mit ordentlichem Vertrag und doch fern der 38,5 Stunden-Woche. Wer mit Tanz oder Schauspiel sein Geld verdient, ist ja Künstler und frönt seinem Hobby an bestimmt 56 Stunden in 7 Tagen und Nächten. Von ProfessorInnen werden mindestens 50 Stunden in der Woche erwartet und die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen stehen dem nicht nach. Was ist los, dass so viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen so furchtbar viel arbeiten?
Vielleicht bringt ein anderes Vorurteil etwas Licht ins Dunkel:
Computer nehmen den Menschen Arbeit ab und erleichtern das Arbeitsleben.
Die Idee ist großartig und ihre Realisierbarkeit überzeugend. Statt mit der Schreibmaschine einen Text nach jeder Änderung neu zu tippen, brauchen nur die Änderungen eingegeben zu werden und fertig ist der neue Text. Statt ein Modell von allen Seiten zu zeichnen, gibt man es einmal ein und kann durch Drehen alle Ansichten erhalten. Adressen aus der Datei sind auf Knopfdruck für beliebige Briefe zu verwenden. Komplizierte Berechnungen stehen mit einem Programm jedem zur Verfügung, der sie nun nicht mehr mühsam begreifen und durchführen muss. Wie einfach, für jeden verfügbar und schnell ist doch ein Programm im Gegensatz zu der Logik, die dahintersteht! Wie kann ich also behaupten, dass es sich um ein Vorurteil handelt? Und wie soll der Einsatz von Rechenanlagen mit der hohen Arbeitslast derjenigen, die erwerbstätig sind, zu tun haben?
Verwaltung und Organisation kann nebenbei erledigt werden
Betrachten wir die so unterschiedlichen Arbeitsplätze genauer, stellen wir fest, dass sie oft etwas gemeinsam haben: Büroarbeiten, die rechnergestützt erledigt werden Und weil die Programme so einfach für jede und jeden zu bedienen sind, werden die Bürotätigkeiten nicht von eigens dafür Eingestellten durchgeführt, sondern nebenbei. Man kann doch die Speisekarte auf dem Rechner machen! Man kann doch die Einkäufe und Einnahmen rasch in den Rechner eingeben! Man kann doch die Kundenkartei und die Rundbriefe gerade mal schnell eintippen -- ist doch keine große Arbeit! Wenn ich einen Artikel schreibe, kann ich das doch gleich am Rechner tun, dann ist der Text fertig formatiert als Druckvorlage vorhanden, wenn ich ihn fertig gedacht habe! Aber Büroarbeit ist nicht nur Schreiben und Rechnen, eigentlich handelt es sich um Verwaltung und Organisation, wobei beides sehr viel Kommunikation bedeutet. Das und noch viel mehr geht doch dank der Technik -- heute gern "Technologie" genannt -- ganz nebenbei. Nebenbei wird ein Rechner installiert. Nebenbei werden neue Versionen ohnehin schon mangelhafter Software, die aber de facto Standard ist, aufgespielt. Nebenbei werden die neuen Benutzerschnittstellen gelernt und Inhalte von Handbüchern aufgeschnappt. Bei jedem Fehler wird deutlich, dass es so einfach nicht geht. Dann muss das Handbuch gründlicher studiert werden, dann müssen Erfahrungen mit den Macken des Programms gemacht und Tricks exploriert werden, wie man doch noch hinbekommt, was seit einigen Stunden fertig sein sollte. Übrigens stürzt so ein Programm auch mal ganz nebenbei ab. Schade, dass die Lohnbuchhaltungsprogramme just unmittelbar vor der Überweisung der Löhne ihre Arbeit einstellen und alle Daten von den Sicherungskopien neu eingelesen werden müssen! Schade, dass kleine Firmen keine Abteilung für die Buchhaltung mehr haben! Geschichten dieser Art sind es, die die Abgehetzten sich erzählen, um zu begründen, warum sie leider nicht zu dem geplanten gemeinsamen Essen am Freitag abend kommen konnten. Keiner von ihnen war für Büroarbeit eingestellt, keiner von diesen hat sich diesen Beruf ausgesucht, alle sind für ganz andere Tätigkeiten qualifiziert und betrachten diese Tätigkeiten als ihren Beruf. Aber weil niemand für die Büroarbeit eingestellt ist, nimmt sie schließlich die Zeit der Köche, Tanzlehrer, Wissenschaftler, Techniker, Berater, Betriebswirte und Außendienstmitarbeiter so sehr in Anspruch, dass man schon nicht mehr weiß, ob man die Überstunden mit der Büroarbeit, die nebenbei geschehen sollte, verbringt, oder das Nebenbei die Arbeitszeit beansprucht und der eigentliche Beruf nur noch in Überstunden stattfindet. Wir stellen fest, dass hier ein weiteres Vorurteil am Werke ist:
durch den Einsatz von Rechnern lassen sich Arbeitskräfte einsparen.
Wir brauchen gar nicht so viele Bürokräfte, die Büroarbeiten werden nebenbei von den anderen miterledigt. Dieses Vorurteil verwandelt Vorteile von Rechnern in Nachteile. Aus der Mö'9aglichkeit, schnell und weltweit Nachrichten auszutauschen, wird ein Aktualitätsdruck der Kommunikation, der vor lauter Schreiben und Beantworten von elektronischer Post kaum noch ein Nachdenken über den Inhalt erlaubt. Nur rasch antworten, denn sonst kommt die nächste Post mit der Frage, ob die letzte Nachricht nicht angekommen sei? Immer schnellere elektronische Briefwechsel mit immer kürzeren Nachrichten, die oft schon im nä'8achsten elektronischen Brief widerrufen werden, beanspruchen beträchtliche Zeit pro Tag. Veröffentlicht wird Unausgegorenes -- die Präsenz im weltweiten Netz zählt! In dieser Flut von Texten eine brauchbare Information zu finden, ist schwierig. Kein Wunder, dass es inzwischen Programme gibt, die elektronische Post filtern und Texte im WWW selektieren. Der Aktualitätsdruck betrifft auch Zusammenstellungen (reporting) jeder Art: sei es über die im Datenwarenhaus gespeicherten Fakten, sei es über die Leistung einzelner Abteilungen, sei es über den Abverkauf und die Lagerung einzelner Waren. Auch hier wird an Programmen gearbeitet, die die Analyse der Daten in flexibler Form unterstützen. Solche Programme sind ein Fortschritt, aber man möge sich davor hüten, ihre Verwendung nebenbei den ohnehin schon Vollzeit-Beschäftigten aufzuhalsen! Auch ihr Einsatz kann bessere Auswertungen der Daten ergeben, spart aber keinen einzigen Arbeitsplatz ein, sondern verlangt im Gegensatz nach hoch qualifizierten Arbeitskräften.
Ein weiterer Vorteil von Programmen ist, dass sie mehrere Arbeitsabläufe zusammenfassen und damit einen neuen, ganzheitlicheren Vorgang erzeugen. Zum Beispiel wurden früher Texte von einem Menschen erdacht und mit der Hand geschrieben, von einem weiteren Menschen getippt, dann an wieder anderer Stelle gesetzt und schließlich gedruckt. Heute werden Texte von einem Menschen erdacht und gleich gesetzt. Die Verlage speichern die elektronische Form des gesetzten Textes und drucken die Bücher auf Bestellungen aus. Damit ist die Arbeitsteilung in Autoren, Sekretärinnen, Setzer und Drucker aufgehoben. Wie bei der Erstellung von Texten, so ist es auch bei der Korrespondenz, bei Werbebriefen (mailing actions), bei Formularen. Die Aufteilung in Stichworte geben, ausformulieren, schreiben, vervielfältigen, adressieren und versenden ist aufgehoben. Für ein Stichwort ist schon ein Textbaustein gefertigt, die Vervielfältigung entfällt bei elektronischer Post vollständig und ist bei normaler Post durch einfache Angabe der Adressdatei für Serienbriefe erledigt. Das Abtippen von mit der Hand ausgefüllten Formularen für die Datenerfassung entfällt. Schade nur, dass Sekretärinnen, Setzer und Drucker eingespart wurden -- die Autoren, Briefschreiber, Werbeabteilungen (direct marketing) müssen das Tippen, Formatieren, Ausdrucken einfach nebenbei erledigen. Die inhaltlichen Gedanken und die Ausführung auf dem Rechner ist so eng verzahnt, dass das Delegieren der Büroarbeit fast unmöglich wird. Die Aufhebung der Arbeitsteilung führt einfach zur Mehrbelastung der Autoren, Sachbearbeiter, Antragsteller, ..., denn Formatieren, Serienbriefe versenden, Formulare am Rechner ausfüllen benötigt zwar weniger Zeit als früher, aber eben nicht keine Zeit.
Die Einsparungen an Personal sind gleichzeitig eine bemerkenswerte Verschwendung. Da wird eine hoch qualifizierte Kraft -- nebenbei -- für Tätigkeiten eingesetzt, die eigentlich geringer vergütet werden. Wenn dies Nebenbei auch nur 1 Stunde am Tag ausmacht, so sammeln sich doch die Stunden an. Am Ende könnte für diese Stunden eine Person eingestellt werden. Stattdessen werden diese Stunden überbezahlt, die Tätigkeit, die eine hohe Qualifikation verlangt, eingeschränkt, und die billigeren Arbeitskräfte sind arbeitslos. Können wir es uns wirklich leisten, dass Entscheidungsträger ihre hochbezahlte Zeit mit Tippen, Formatieren, Programmbedienen und Handhabung der Tücken von Programmen verbringen? Wäre nicht die Einstellung technisch qualifizierten Büropersonals billiger?
Ich erinnere mich noch, wieviele wissenschaftliche Bücher und Artikel ich früher am Tag zu lesen pflegte und wieviel Zeit ich mit Nachdenken und Programmieren zubrachte. Heute habe ich nebenbei so viel anderes zu tun, dass erst hinter einer 30-Stunden-Woche die Wissenschaft kommt, mein Beruf. Und der war früher mit 42 Stunden in der Woche angesetzt. Wenn ich also wirklich dieselbe Qualität erreichen will, muss ich 72 Stunden arbeiten. Und viele tun das.
Neben der üblichen Büroarbeit kann noch viel mehr erledigt werden
Nun gibt es natürlich Büroarbeitsplätze. Die könnten eigentlich von den Vorzügen der Rechenanlagen profitieren. Leider gelingt auch das nicht.
Zum einen sind oft selbstgestrickte oder kaum bessere Branchenprogramme im Einsatz, die nicht die tatsächliche Arbeit unterstützen. Das sorgfältige Erfassen der Arbeitsabläufe, die realen Bezüge zwischen Arbeitsschritten und Abteilungen werden eben nicht -- wie es die Informatik lehrt -- beachtet, sondern stattdessen das, was in oberen Etagen oder dem Stab zur Computereinführung als Arbeitsablauf bekannt ist. Auf diese Weise wird beispielsweise die Akte als Sammlung von Formularen für den Rechner erfasst, nicht jedoch die kleinen Zettelchen und Randnotizen, die die SachberarbeiterInnen zusätzlich verwenden. Es wird der Gang der Akte durch verschiedene Abteilungen modelliert, nicht jedoch, wer sie wem bringt und was sie bei der Übergabe noch dazu sagt. Vielleicht liegt es aber gerade an diesen kleinen Hinweisen, dass der gesamte Ablauf funktioniert? Dann funktioniert er nicht mehr, wenn elektronisch die ausgefüllten Formulare versandt werden! Sicherlich, man kann auch bei Programmen Notizfunktionen und Kommentarfelder zur Verfügung stellen -- wenn man auf die Entwicklung der Programme Zeit verwendet und sie nur gut ausgebildeten Informatikern überlässt!
Zum anderen wird von den Büroangestellten immer mehr verlangt. Wenn die Buchführung ohnehin auf dem Rechner erfolgt, dann kann doch nebenbei noch eine Übersicht erstellt werden, kö'9annen verschiedene Auswertungen der Daten vorgenommen werden! Es gibt so viele Rechtfertigungen, für die Zahlenmaterial gebraucht wird... Vielleicht ist die Abteilung X überflüssig? Da muss sie sich durch die klare Darstellung ihrer Leistungen rechtfertigen -- das lässt sich im Büro doch rasch nebenbei zusammenstellen!
Man betrachte die Tätigkeitsbeschreibungen, wie sie immer noch für Büroarbeitsplätze in den Tarifverträgen vorkommen, und vergleiche sie mit der Realität. Die Arbeitsplatzbeschreibungen lesen sich wie eine Sammlung von Vorurteilen: Textverarbeitung sei ganz etwas anderes und leichteres als Rechnen und Programmieren (BAT VII gegenüber BAT V und BAT IV). Textverarbeitungsprogramme wie Word, PowerPoint, FrameMaker oder gar LaTeX werden als hilfreichere Schreibmaschinen angesehen. Als "Schreiben schwieriger mathematischer Texte" wird honoriert, dass der Kugelkopf der Schreibmaschine ausgewechselt wird. Und tatsächlich muss der Formeleditor des Programms bearbeitet werden und die Formeln müssen richtig durchnummeriert werden (natürlich automatisch -- wie ging das noch in FrameMaker?) und der Stil, das Seiten-Layout, muss definiert werden bzw. seine Definition richtig eingebunden werden. Was so viel schwieriger ist als das Auswechseln der Kugelköpfe, wird nun leider nicht mehr eigens als Tätigkeitsmerkmal gewürdigt, sondern geht unter in dem einfachen Stichwort "Verwendung von Word". Stattdessen gibt es geradezu nach Ärmelschonern riechende Tätigkeiten in den Arbeitsplatzbeschreibungen: nach genauen Vorgaben werden da Akten abgelegt und Unterlagen für Sitzungen zusammengestellt (vermutlich aus Ordner zu holen, statt in den Weiten des WWW zu suchen?), es wird ein handgeschriebener Text abgetippt oder nach Diktat geschrieben. Man sieht einen Stenoblock und hört das Ping der Schreibmaschine am Ende der Zeile, gefolgt von einem schnellen Ratsch, wenn man diese Arbeitsplatzbeschreibungen liest. Faktisch sieht man einen Bildschirm und hört höchstens das Dingdong (oder welches Geräusch auch immer für Fehlbedienungen eingestellt wurde), meistens aber unterdrücktes Fluchen "komm schon, nun mach doch, oh nein!" Auch im Bürobereich gilt, dass die angegebenen Tätigkeiten einen verschwindend geringen Teil der realen Arbeit ausmachen. Demgegenüber ist der tariflich nicht erfasste Teil angeschwollen und erfordert sehr spezielle Qualifikationen. Damit ist nicht nur die Bedienung mehrerer komplizierter Programme und das ständige Weiterlernen von Version zu Version gemeint, sondern auch das Wissen und die Erfahrung, wie mit welcher Tücke des Betriebssystems, des Browsers, des electronic mail Programmes oder des Druckes umzugehen ist. Dieses Wissen veraltet schnell und ist nur durch tägliches Training zu gewinnen. Es ist maßgeschneidert für einen Arbeitsplatz -- wo der Druckertreiber des einen hakt, ist beim anderen noch nie ein Problem aufgetreten. Schulungen für ein Programmpaket sind notwendig, aber es muss auch in der normalen Arbeitszeit Zeit sein für eigenes Explorieren, Herausfinden der speziellen Kniffe an diesem speziellen Ort mit dieser Rechner- und Programmkonfiguration. Diese Zeit muss veranschlagt werden und zwar hoch!
Obendrein müssen die Arbeitsabläufe, die da im Büro verwaltet werden, sehr genau verstanden werden. Wer den Sinn und die Hintergründe von einer Übersicht nicht versteht, kann die Programme nicht angemessen zu ihrer Erstellung einsetzen. Da die Programme die Arbeitsteilung von Denken, Entscheiden, Umsetzen und Ausführen aufheben, handelt es sich im Büro eigentlich um Organisation und Verwaltung (management und management support). Die Entscheidung liegt nicht in der Verwaltung, aber damit Entscheidungsträger überhaupt noch Arbeit delegieren können, müssen die Sekretärinnen und Verwaltungsangestellten viel von den zugrundeliegenden Arbeitsabläufen verstehen. Schulungen zu dem Bereich, der im Büro verwaltet wird, sind notwendig. Organisatorische Abläufe, die mithilfe verschiedener Rechner und Programme unterstützt werden, müssen verstanden werden -- nicht nur die Programme und wie man sie bedient!
Selbst schuld
Wie kommt es nur, dass Menschen auf allen Ebenen diesen Druck hinnehmen? Es gehört zum guten Ton, über Zeitdruck und Überbelastung zu klagen und Tiraden gegen Computer auszutauschen. Gleichzeitig wird einfach intensiver mehr gearbeitet, gleicht jeder Mensch, der erwerbstätig ist, durch eigene Mehrarbeit die Probleme aus. Warum? Der häufigste Grund ist die Angst, als technologisch ungebildet, unflexibel oder schlicht zu dumm zu gelten. "Wenn ich schlauer wäre, könnte ich es ja nebenbei schaffen." sagen die Menschen und gleichen ihre vermeintliche Dummheit durch zusätzliche Arbeitszeit aus. "Sie müssen Ihre Zeit besser einteilen, Prioritäten setzen" wird dem entgegengeschleudert, der über seinen Arbeitsdruck klagt. Selbst schuld, ist die einhellige Meinung.
Computer werden somit wie eine Naturgewalt hingenommen. Sie sind eben so, dass sie abstürzen, in der neuen Version einfache Dinge kompliziert auszuführen sind, ihr Speicherplatz auch im Gigabereich rasch gefüllt ist...
Computer sind nun einmal so.
Die Tiraden gegen Computer verbergen die Fehler beim Einsatz der Rechner. Statt schlechte Arbeitsplanung, unrealistische Kostenrechnung und falsche Personalplanung zu kritisieren, gibt man dem Rechner die Schuld und da kann man nichts machen. Und so wird das Problem des Rechnereinsatzes nicht einmal besprochen, werden konstruktive Auswege nicht gesucht und das Vorurteil lebendig erhalten, dass Rechner Arbeit abnehmen, als würde die Arbeit dadurch verschwinden.
Jenseits der Vorurteile
Wir wollen den vielen Berichten über Pleiten und Pannen beim Rechnereinsatz nicht noch einen hinzufügen. Wir wollen nicht noch einmal mit einer Satire zustimmendes Grinsen bewirken und dann weitermachen wie bisher. Gerade weil wir Informatikerinnen sind, wissen wir, dass Programme sehr unterschiedlich gestaltet werden können. Man muss nicht jedes hingepfuschte Programm akzeptieren! Aber selbst ein sorgfältig entwickeltes Programm erleichtert die Arbeit nur insoweit, wie die Randbedingungen stimmen. Deshalb sprechen wir hier vom Einsatz der Computer und nicht von den Programmen selbst. Der Einsatz von Rechenanlagen hat tatsächlich die Arbeitswelt verändert:
Aufhebung der Arbeitsteilung: die Durchführung am Rechner und die inhaltliche Konzeption einer Arbeit ist so eng verzahnt, dass eine Arbeitsteilung in Konzeption und Durchführung fast unmöglich geworden ist.
Delegieren von Arbeiten ist schwierig, weil es eine sehr hohe Qualifikation voraussetzt bei den Personen, an die delegiert wird. Zum einen müssen Programmpakete genau bekannt sein, die weitaus schwieriger sind als eine Schreibmaschine. Zum anderen muss der Arbeitsablauf bekannt sein, damit die Vorgabe von Stichwörtern ausreicht.
Kostenrechnung muss die "Nebenbei"-Zeiten einbeziehen. Wie billig ist eine neue Version eines Programmpaketes wirklich, wenn man die tatsächlichen Umrüstzeiten als Arbeitszeit hochqualifizierter Kräfte einbezieht? Wenn sich die Menschen plötzlich weigern würden, ihre eigentliche Arbeit am Feierabend durchzuführen oder sich die Überstunden bezahlen ließen, wie teuer ist dann die Einsparung von Arbeitskräften?
Ersetzbarkeit gering: Wer sich hineingedacht hat in ein aktuelles Problem mit dem Betriebssystem, dem Netz-server, dem Druckertreiber, der Datenbank ..., der kann das Problem nicht einmal von einem Gleichqualifizierten weiterbearbeiten lassen. Das Problem kann nur als Ganzes übergeben werden, wenn man nicht die Zeit des Hineindenkens verdoppeln will.
Aktualitätsdruck: Kommunikation ist zeitlich so dringlich geworden, dass etwa 50 (elektronische) Briefe täglich zu lesen und zu beantworten sind. Natürlich kann dann nicht so gründlich und überlegt geantwortet werden. Der Informationsgehalt sinkt.
Arbeitsabläufe müssen realistisch erfasst werden, damit sie von Rechnern unterstützt werden können. Das Einsparen bei der Entwicklung von Programmen führt nur zur Mehrarbeit bei denen, deren Abeit erleichtert werden sollte.
Computer können tatsächlich nicht Arbeit abnehmen, aber mit ihnen können Leistungen erreicht werden, die anders unmöglich sind. Wir haben nicht weniger Arbeit, sondern mehr Leistung durch den richtigen Einsatz von Rechnern! Es sind neue, zusätzliche Möglichkeiten, die sich auftun: weltweite Buchung, Erreichbarkeit rund um den Globus oder -- im Bosnien-Krieg -- zum nächsten Dorf, Datenauswertung nicht nur nach Standard, verteiltes Arbeiten, ... Es sind wunderbare Möglichkeiten, aber sie haben ihren Preis und können nicht nebenbei erzielt werden.
Prof. Dr. Katharina Morik vertritt das Lehrgebiet "Künstliche Intelligenz" am Fachbereich Informatik der Universität Dortmund
Katharina Just-Hahn ist Diplom-Informatikerin und Beraterin bei der TB? in Köln
Die Autorinnen wollen mit ihrem Artikel zu einem konstruktiven Diskurs über den geeigneten Einsatz von Rechnern nicht nur Informatiker, sondern auch jene auffordern, die bisher meinten, ihre Probleme lägen allein daran, dass sie nicht genug von Informatik verstünden.